3 Klassen und Objekte
»Nichts auf der Welt ist so gerecht verteilt wie der Verstand. Denn jedermann ist davon überzeugt, dass er genug davon habe.«
– René Descartes (1596–1650)
3.1 Objektorientierte Programmierung (OOP)
In einem Buch über Java-Programmierung müssen mehrere Teile vereinigt werden:
zunächst die grundsätzliche Programmierung nach dem imperativen Prinzip (Variablen, Operatoren Fallunterscheidung, Schleifen, einfache statische Methoden) in einer neuen Grammatik für Java,
dann die Objektorientierung (Objekte, Klassen, Vererbung, Schnittstellen), erweiterte Möglichkeiten der Java-Sprache (Ausnahmen, Generics, Lambda-Ausdrücke) und zum Schluss
die Bibliotheken (String-Verarbeitung, Ein-/Ausgabe …).
Dieses Kapitel stellt das Paradigma der Objektorientierung in den Mittelpunkt und zeigt die Syntax, wie etwa in Java Klassen realisiert werden und Attribute und Methoden eingesetzt werden.
[»] Hinweis
Java ist natürlich nicht die erste objektorientierte Sprache (OO-Sprache), auch C++ war nicht die erste. Klassischerweise gelten Smalltalk und insbesondere Simula-67 aus dem Jahr 1967 als Stammväter aller OO-Sprachen. Die eingeführten Konzepte sind bis heute aktuell, darunter die vier allgemein anerkannten Prinzipien der OOP: Abstraktion, Kapselung, Vererbung und Polymorphie.[ 105 ](Keine Sorge, alle vier Grundsäulen werden in den nächsten Kapiteln ausführlich beschrieben! )
3.1.1 Warum überhaupt OOP?
Da Menschen die Welt in Objekten wahrnehmen, wird auch die Analyse von Systemen häufig schon objektorientiert modelliert. Doch mit prozeduralen Systemen, die lediglich Unterprogramme als Ausdrucksmittel haben, wird die Abbildung des objektorientierten Designs in eine Programmiersprache schwer, und es entsteht ein Bruch. Im Laufe der Zeit entwickeln sich Dokumentation und Implementierung auseinander; die Software ist dann schwer zu warten und zu erweitern. Besser ist es, objektorientiert zu denken und dann eine objektorientierte Programmiersprache zur Abbildung zu haben.
[»] Hinweis
Bad code can be written in any language.
Identität, Zustand, Verhalten
Die in der Software abgebildeten Objekte haben drei wichtige Eigenschaften:
Jedes Objekt hat eine Identität.
Jedes Objekt hat einen Zustand.
Jedes Objekt zeigt ein Verhalten.
Diese drei Eigenschaften haben wichtige Konsequenzen: zum einen, dass die Identität des Objekts während seines Lebens bis zu seinem Tod dieselbe bleibt und sich nicht ändern kann. Zum anderen werden die Daten und der Programmcode zur Manipulation dieser Daten als zusammengehörig behandelt. In prozeduralen Systemen finden sich oft Szenarien wie das folgende: Es gibt einen großen Speicherbereich, auf den alle Unterprogramme irgendwie zugreifen können. Bei den Objekten ist das anders, da sie logisch ihre eigenen Daten verwalten und die Manipulation überwachen.
In der objektorientierten Softwareentwicklung geht es also darum, in Objekten zu modellieren und dann zu programmieren. Das Design nimmt dabei eine zentrale Stellung ein; große Systeme werden zerlegt und immer feiner beschrieben. Hier passt sehr gut die Aussage des französischen Schriftstellers François Duc de La Rochefoucauld (1613–1680):
»Wer sich zu viel mit dem Kleinen abgibt, wird unfähig für Großes.«
3.1.2 Denk ich an Java, denk ich an Wiederverwendbarkeit
Bei jedem neuen Projekt fällt auf, dass in früheren Projekten schon ähnliche Probleme gelöst werden mussten. Natürlich sollen bereits gelöste Probleme nicht neu implementiert, sondern sich wiederholende Teile bestmöglich in unterschiedlichen Kontexten wiederverwendet werden; das Ziel ist die bestmögliche Wiederverwendung von Komponenten.
Wiederverwendbarkeit von Programmteilen gibt es nicht erst seit den objektorientierten Programmiersprachen, objektorientierte Programmiersprachen erleichtern aber die Programmierung wiederverwendbarer Softwarekomponenten. So sind auch die vielen Tausend Klassen der Bibliothek ein Beispiel dafür, dass sich Entwickler nicht ständig um die Umsetzung etwa von Datenstrukturen oder um die Pufferung von Datenströmen kümmern müssen.
Auch wenn Java eine objektorientierte Programmiersprache ist, ist das kein Garant für tolles Design und optimale Wiederverwendbarkeit. Eine objektorientierte Programmiersprache erleichtert objektorientiertes Programmieren, aber auch in einer einfachen Programmiersprache wie C lässt sich objektorientiert programmieren. In Java sind auch Programme möglich, die aus nur einer Klasse bestehen und dort 5.000 Zeilen Programmcode mit statischen Methoden unterbringen. Bjarne Stroustrup (der Schöpfer von C++, von seinen Freunden auch Stumpy genannt) sagte treffend über den Vergleich von C und C++:
»C makes it easy to shoot yourself in the foot, C++ makes it harder, but when you do, it blows away your whole leg.«[ 106 ](Oder wie es Bertrand Meyer sagt: »Do not replace legacy software by lega-c++ software.«)
Im Sinne unserer didaktischen Vorgehensweise wird dieses Kapitel zunächst einige Klassen der Standardbibliothek verwenden. Wir beginnen mit der Klasse Point, die zweidimensionale Punkte repräsentiert. In einem zweiten Schritt werden wir eigene Klassen programmieren. Anschließend kümmern wir uns um das Konzept der Abstraktion in Java, nämlich darum, wie Gruppen zusammenhängender Klassen gestaltet werden.